Orte der Erholung einmal als Gewohnheiten betrachten: sich jeden Abend ins Bett legen; jeden Sonntag in die Kirche gehen; in der Pause immer unter dem Nussbaum sitzen. Die alltäglichen kleinen Kuren, denen wir hier auf der Spur sind, finden oft in Form von Wiederholungen statt. Herr und Frau Meise zum Beispiel nehmen ihre warmen Mahlzeiten so oft es geht im Feldhotel* in Buchboden zu sich, das sich somit als kleiner Fixpunkt in ansonsten sehr bewegten Tagesabläufen ergeben hat.
Das mit der Kirche ist für zwei Agnostiker wie Herrn & Frau Meise eine einigermaßen schwierige Sache. Der Forscherdrang gebot es allerdings, der Bemerkung einer Talbewohnerin nachzugehen, die da fast schelmisch meinte: »Egal ob man christlich ist oder nicht, in der Messe passiert auf jeden Fall etwas mit einem.« – Und so eine Sonntagsmesse in der Probstei St. Gerold, durch einen gastierenden Schweizer Chor musikalisch sozusagen in die Oberliga der Sonntagsmessen katapultiert, ist in der Tat eine gute Möglichkeit, die wohltuende und Gemeinschaft stiftende Wirkung eines gewohnten, sich wöchentlich wiederholenden Rituals zu beobachten.
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Gewohnheiten müssen bisweilen auch wieder aufgegeben werden. Renate aus Bürs, Rezeptionistin in der Probstei, hat viele ihrer Verschnaufpausen unter dem Nussbaum vor dem Eingang verbracht. Der alte Baum fiel der im Gang befindlichen Sanierung der Anlage zum Opfer (auf unserer Karte ist er übrigens noch zu entdecken), weshalb Renate jetzt eine Ecke weiter geht, um an der Südseite des Hauptgebäudes in der Sonne zu sitzen und in die Weite zu schauen. Diesen Blick nachzuvollziehen waren Herr & Frau Meise heute nach St. Gerold gefahren – denn schon gestern gab es dafür eine Empfehlung…
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Sie kommen in T-Shirts, die mit Vorarlberger Dialektausdrücken (»a bsundrige«) beflockt sind, ins Walsertal: ein Ehepaar aus Innsbruck mit einer Besucherin aus Magdeburg. Da sie unglaublich erholt aussehen, erschien die Frage nach einem einzelnen Ort zum Durchatmen bei unserer Begegnung zunächst unpassend. Die Innsbruckerin allerdings hat gleich einen für sie besonderen Platz vor Augen: Der Blick vom Mäuerchen des Probsteigartens in St. Gerold quer über das Tal nach Raggal erfülle sie jedes Mal mit zufriedener Ruhe. — Vor Ort entdeckten Herr & Frau Meise für sich, wie sehr der schlicht angelegte Garten der Probstei den wohltuenden Eindruck verstärkt.
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St. Gerold scheint überhaupt ein Ort zum Verweilen – nicht ausschließlich für Menschen: Ein Siebenschläfer sei dort in das alte Hallenbad geschlichen, um ein paar Längen zu schwimmen. Auch diese Gewohnheit lässt sich nicht mehr lange kultivieren, denn das Bad wird – wie der Nussbaum – im Zuge der Sanierungsarbeiten bald historisch sein. Die Meisen wollten dem Siebenschläfer aber nicht nachstehen und haben ihr Kur-Programm kurzerhand um wohlige Tempi erweitert.
Kaum getrocknet, schmarotzten sie an einer kleinen Auszeit: Natalie aus Dornbirn döste auf einer Bank im Hof der Probstei, während ihr Partner mit den beiden Kindern das Terrain erforschte. Herr & Frau Meise setzten sich – wild entschlossen, gleich den nächsten Kur-Moment zu erhaschen – auf die Wiese vor Natalies Bank und hielten still ihre Gesichter in die Sonne…
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* Zum Feldhotel hat z.B. auch Der Standard schon geschrieben:
http://derstandard.at/2000005171602/Ein-Hotel-aus-Abbruchmaterial-auf-Reisen