Kurtag 09

Eine praktische Ärztin mit Erfahrung in Fastenkuren gab heute, am vorletzten Tag von Herrn & Frau Meises Kur, noch einmal ein sehr brauchbares Stichwort: Entschleunigung. Das Gefühl des immer schneller werdenden Lebens ist nicht zuletzt dem Mangel an Kontinuitäten geschuldet: unsere Tage sind durchlöchert von Terminen, Nachrichten, Anrufen, parallelen Verpflichtungen. Selten nur erstreckt sich eine Sache ohne Unterbrechungen über eine längere Dauer, immer setzen wir neu an, stellen uns neu ein, stehen auf’s Neue zur Verfügung.

Auch die Frau Doktor gesteht, dass sie selbst erst einmal ihren hohen perfektionistischen Anspruch lockern musste, um entspannter durch den Alltag zu kommen. Und die Fastenkuren, die sie gemeinsam mit anderen Gesundheitsprofis unter das Motto »Entschleunigung« gestellt hat, sind auch für sie ein guter Ausstieg aus allen Routinen. Für Frau Meise, die vom vielen Kuren heute ein wenig blass war, hat sie mit einem Augenzwinkern gleich die für Meisen adäquate Behandlung parat: Dirndlnektar, intravenös.

Peter sorgt in einer seiner Tätigkeiten dafür, dass Menschen in ein anderes Zeiterlebnis eintauchen können: Er ist als Filmvorführer für die Walser Filmtage aus Oberösterreich angereist. Hat er tagsüber einmal ein wenig freie Zeit im Walsertal, geht er am liebsten Häuser schauen, weil es hier architektonisch viel zu entdecken gibt, was Peter in seiner Heimat schmerzlich vermisst. Wie Herr & Frau Meise heute bei einer gemeinsamen Hausbesichtigung erleben konnten, ist es ein Segen, Zeit mit jemandem verbringen zu können, der sich einer Sache mit Neugierde, liebevoller Aufmerksamkeit und einem wachen Interesse für Details widmet. Das beruhigt sogar sonst durchaus unstete Wesen wie die Meisen.

Marlene aus St. Gerold verriet Herrn & Frau Meise einen ihrer Kraftplätze. Von ihrem Küchentisch aus schaut sie – das ganze Jahr hindurch – oft zu den zwei hohen, nah beieinander stehenden Eschen hinüber. Selbst als vor ein paar Jahren einer der Bäume durch Pilzbefall sehr geschwächt war, wollte sie nicht, dass er gefällt wird; umso schöner, dass sich der Baum wieder erholt hat. Beim Hören der Geschichte entsteht bei Herrn & Frau Meise der Eindruck, als sei seitdem die Beziehung noch stärker geworden; besonders, weil Marlene hinzufügt, dass sie den beiden Bäumen immer wieder ihre Gedanken anvertraut. Die Meisen haben innerlich laut aufgejauchzt, weil das wieder so etwas war, was sie auf dieser Kur zu finden erhofft hatten.

Wunderbar entschleunigt haben sich Herr & Frau Meise dann abends im Lutzschwefelbad unterhalb Buchbodens. Die genial schlichte Badeanlage unter freiem Himmel lädt ein, zunächst im Storchenschritt durch kniehohes, richtig kaltes Schwefelwasser zu waten, dann in einem kleinen Becken komplett in es einzutauchen, um schließlich in einem größeren Bad in beheiztem, klarem Wasser zu liegen. Die Baderinnen verwöhnten Herrn & Frau Meise und die anderen Badenden noch mit einem Aufguss aus Brennesselwasser und führten auch sonst fachgerecht durch den Badeabend.

Herr Meise war danach so entspannt, dass er damit drohte, den weiteren Abend blau zu machen. Was Frau Meise zum Glück mit einem strengem Blick verhinderte, weil es sonst diesen Eintrag in ihr Kurtagebuch nicht gäbe. Die Bilder dazu entstanden übrigens vor dem eigentlichen Badeerlebnis – aus Rücksicht auf die anderen Badenden.

Das Lutzschwefelbad (http://wassertal.at) wurde vor zwei Jahren beim Walser Herbst eingeweiht. Das Festival bietet nicht nur biennal für drei Wochen verdichtete kulturelle Nahversorgung im Walsertal, sondern initiiert und beteiligt sich auch rege an längerfristigen lokalen Entwicklungen. Aktuell geht es um den Kulturraum Ruine Blumenegg, wo neben der Erhaltung von Teilen der ehemaligen Festung ein wandelbarer Kulturpavillon als Ort der Begegnung entstehen soll. Als sichtbares Zeichen für dieses Vorhaben wurden für das diesjährige Festival eine Infotafel und ein Objekt neben der Ruine installiert, das sowohl Tisch, als auch Tanzboden und Bühne sein kann. Herr & Frau Meise saßen dort heute Nachmittag in den ersten Sonnenstrahlen nach zwei Tagen Regen. Ein Moment, in dem die Zeit fast still stand…

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